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Lebensfreude trotz Multipler Sklerose

MS-Symptome, nicht zuletzt Blasenstörungen, machten aus der grund-positiven Romy eine depressive Frau. Wie sie es geschafft hat, aus ihrer Isolation herauszufinden, schildert sie im AMSEL-Video. Ein "Trockenversuch" gab den Anstoß dazu.

Wer Romy kennt, ihr Lachen, ihre positive Ausstrahlung, der kann es kaum glauben, dass sie sich einmal komplett zurückgezogen hatte. Nicht nur, dass sie sich wegen ihrer Blasenstörung nicht mehr unter Leute traute und depressiv wurde: Dazu entwickelte sie noch eine Zwangsstörung.

Als die Multiple Sklerose 1996 bei ihr diagnostiziert worden war, lief es zunächst gar nicht so schlecht. Klar, fragte sie sich, wie viele neu Diagnostizierte "Warum ich?" Auch ihren Beruf gab sie nur ungern auf. Aber sie erhielt Unterstützung von ihrem Mann, hatte einige Hobbys und nun Zeit für andere Dinge.

Tabuthema Blasenstörung

1998 kamen Probleme mit dem Laufen dazu. Der Rolli stand jedoch zunächst einmal in der Garage. Ein unschönes Erlebnis prägte die nächste Phase in Romys "MS-Karriere": Während eines Besuchs bei ihrer Nachbarin spürte sie, dass sie eine Toilette aufsuchen müsste, wollte dazu jedoch lieber nach Hause. Auf dem Weg über die Straße konnte Romy jedoch das Wasser nicht mehr halten. Mit nasser Hose ging sie weiter, begegnete im Hausflur dann auch noch ihrer Vermieterin. Sie drückte sich mit dem Rücken zur Wand an dieser vorbei: nur schnell rein, in die eigene Wohnung.

Ähnliches passierte Romy nach diesem ersten Erlebnis öfter. Und es führte dazu, dass sie nach und nach alles abbrach. Zuerst nicht mehr mit ihrem Mann einkaufen ging. Dann nicht mehr mitging zu Freunden. Bis sie sich schließlich zu Hause alleine einigelte. Ihrem damaligen Urologen berichtete sie davon, dass sie alle 15 Minuten aufs Klo müsse und das nicht händeln könne. Sie versuchte zwar, Monatsbinden einzusetzen, doch die halfen natürlich überhaupt nicht. Die lapidare Antwort des Urologen war: "Sie haben MS. Was wollen Sie erwarten?" Romy wurde depressiv. Als eigentlich geselliger Mensch war sie nur noch allein. Und litt darunter.

Blase, Depressionen, Zwangsstörung, Panikattacken

Doch es kam noch schlimmer: Zusätzlich zu ihrer Depression entwickelte Romy eine Zwangsneurose, hatte das Gefühl, sich ständig waschen zu müssen. Dazu Panikattacken. Nachts konnte sie aufgrund ihrer Antidepressiva nicht mehr schlafen, nahm daher die Tranquilizer gegen die Panikattacken abends, um wenigstens ein paar Stunden schlafen zu können. Das führte zur Abhängigkeit. Als ihr Mann sie einmal zum Neurologen begleitete und das hörte, ist er „aus allen Wolken gefallen“. Der Neurologe schlug einen Klinikaufenthalt vor.

In der Klinik ging es zunächst weiter wie zu Hause: Alle Viertelstunde musste Romy aufs Klo, den Vorlagen, die sie inzwischen hatte, traute sie nicht. Sie dachte, das merkt man, das sieht man und das riecht man. Bis eine Psychologin dort ihr zu einem „Trockenversuch“ riet. Das machte Romy und das brachte die entscheidende Wendung für ihr Leben. Als sie spürte, dass sie Wasser lassen müsse, nahm sie eine Vorlage und stellte sich damit unter die Dusche. Siehe da: Es funktionierte.

"Trockenversuch" mit Vorlage

Nach drei Trockenversuchen unter der Dusche wagte sie sich mit einer Klinikfreundin in den Park. Es kostete sie zwar Überwindung, aber "es ist nichts passiert, alles ist trocken geblieben.“ Sie lernte auch, mit ihren Panikattacken umzugehen. Heute weiß sie: Ich kann das! Und das Allerwichtigste: Sie hat ihre Lebensfreude zurück.

Anderen mit ähnlichen Problemen rät sie immer zu professioneller Hilfe. Eine gehörige Portion Pragmatik kann auch nicht schaden. Selbstredend hat ihr Mann großen Anteil daran, dass es ihr wieder gut geht. Er unterstützt sie immer. Und Freunde, die einem gelegentlich einen kleinen Tritt geben, sind auch von Vorteil. So war es bei ihr mit dem Chor, zu dem eine Freundin sie animierte. Von „ich kann doch gar nicht gut singen“ bis hin zur unentbehrlichen Chorkollegin, die im Rollstuhl vorne mitsingt und, wenn doch einmal Stufen vor einem Auftrittsort liegen, von ihren Chorkollegen dorthin getragen wird. Sie war sofort integriert.

Ähnlich bei der Kontaktgruppe Bretten-Bruchsal der AMSEL. Hier wurde sie nach ihrer Diagnose mit offenen Armen aufgenommen. Den Kontaktgruppenleiter traf sie später auf einer Reha. Er erzählte ihr, dass er aufhören wolle. Sehr viel Überredungskunst brauchte es wohl nicht: Seit zwanzig Jahren leitet Romy nun bereits die AMSEL-Kontaktgruppe Bretten-Bruchsal.

Drüber reden hilft

Sie ist wieder so herzlich, offen, engagiert und kommunikativ wie eh und je. Und das ist auch gut so. Gerade in der Kontaktgruppe, wie auch hier im Video, berichtet Romy von ihrer eigenen Geschichte. Wie sie Rotz und Wasser schwitzte, an der Supermarktkasse, wenn sie gespürt hat, dass sie den Urin nicht mehr halten können würde. Wie sie sich zunächst zurückgezogen hatte, nachdem ein Arzt ihr zu verstehen gegeben hatte, dass das zu erwarten sei, mit MS.

Nicht aufzugeben, fällt zwar manchmal schwer, gerade auch bei Rückschritten, aber es lohnt sich. Jedes Mal. Klar, ist das persönliche Umfeld wichtig. Doch es helfen auch

  • die Natur,
  • das Singen (und andere Hobbys),
  • mal einfach draußen zu sitzen und die Füße baumeln zu lassen,
  • mit Menschen zu tun zu haben und
  • offen zu sein für Neues.

Oder, wie Romy gerne eine Redensart zitiert: "aufstehen, Krönchen richten und weiter machen."

Quelle: AMSEL-Video "Lebensfreude trotz MS", 19.04.2024.

Redaktion: AMSEL e.V., 19.04.2024